0

Wandel trotz Reformstau

Die Politik der beruflichen Bildung seit 1970, Schriften aus dem Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung 65, Schriften aus dem MPI für Gesellschaftsforschung 65

Erschienen am 11.05.2009, 1. Auflage 2009
39,00 €
(inkl. MwSt.)

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

In den Warenkorb
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593388663
Sprache: Deutsch
Umfang: 252 S.
Format (T/L/B): 1.8 x 21.4 x 14.2 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Das deutsche System der Berufsbildung befindet sich im Wandel. Der Zugang zur Ausbildung, ihre Finanzierung und die Beteiligung der Unternehmen haben sich verändert. Marius Busemeyer zeichnet diesen Prozess nach, nimmt aber vor allem die politische Dimension der Berufsbildung in den Blick. Seine Dokumentation und Rekonstruktion der politischen Debatten zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und staatlichen Akteuren der letzten vier Jahrzehnte zeigt den langfristigen Wandel in der Politik der beruflichen Bildung. Dabei wird deutlich, wie stark die politische Geschichte der beruflichen Bildung in Deutschland mit Veränderungen im Bereich der Arbeitsbeziehungen verknüpft ist.

Autorenportrait

Marius Busemeyer, Dr. rer. pol., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.

Leseprobe

3.3 Die Neunzigerjahre: Institutionalisierung der dualen Berufsausbildung in den neuen Bundesländern Die Fragen der Berufsbildungspolitik der Siebziger- und Achtzigerjahre nach der Sicherstellung eines quantitativ und qualitativ ausreichenden Angebots an Ausbildungsstellen, der Zuschneidung und Neuordnung von Ausbildungsberufen durch Kompromisse zwischen Berufsbreite und Berufstiefe sowie die Anbindung der beruflichen Bildung an allgemeine Bildung, Hochschulen und Weiterbildung spielten auch in den Neunzigerjahren eine wichtige Rolle. Das dominierende Thema war allerdings, wie das Modell der dualen Ausbildung auf die neuen Bundesländer übertragen werden könnte und welche Rückwirkungen dies auf das Ausbildungssystem der alten Länder haben würde. Diese Debatte wird im Folgenden zuerst behandelt, anschließend weitere wichtige Themen der Berufsbildungspolitik der Neunzigerjahre. 3.3.1 Berufsausbildung in den neuen Bundesländern Die Berufsausbildung hatte wie in der BRD auch in der DDR, dem »Arbeiterund Bauernstaat«, einen hohen Stellenwert (Schäfer 1990a). Zwischen beiden Ausbildungssystemen gab es aufgrund der gemeinsamen Geschichte durchaus Ähnlichkeiten (Berger 1995: 29; Locke/Jacoby 1997: 38),55 die eine Übertragung des westdeutschen Modells auf die neuen Bundesländer möglich erscheinen ließen: So war die Berufsausbildung in der DDR ebenso wie in Westdeutschland hauptsächlich eine betriebliche Ausbildung, anders als in den übrigen Ostblock- Staaten (Autsch 1995: 24; Schäfer 1990a: 283). Ein wesentlicher Unterschied war, dass westdeutsche Betriebe in einem marktwirtschaftlichen Umfeld agierten und ostdeutsche im Rahmen einer planwirtschaftlichen Ordnung. Darüber hinaus war bedeutsam, dass in der BRD der theoretische Teil der Ausbildung in öffentlichen Berufsschulen in kommunaler Trägerschaft vermittelt wurde, während in der DDR die betrieblichen Berufsschulen überwogen, die im Grunde ebenfalls staatliche Institutionen und den Betrieben nur »angelagert« waren (Autsch 1995: 19-20; Johnson 1995: 134-135; Schäfer 1990d: 292). Die Tatsache, dass die Entscheidung zur Einstellung von Auszubildenden in Westdeutschland unter die einzelbetriebliche Verfügungsmacht gestellt wurde, hatte dort quantitative Engpässe entstehen lassen. In der DDR musste sich das Ausbildungsangebot den volkswirtschaftlichen Gegebenheiten und Planungen unterordnen (ebenso wie die Berufswünsche der Jugendlichen), und Großbetriebe wurden teilweise verpflichtet, Lehrlinge aus anderen Betrieben auszubilden (Autsch 1995: 21; Berger 1995: 29; Jaudas et al. 2004: 95). Durch die Reformen der Achtzigerjahre wurde neben der Vermittlung von fachlichen Qualifikationen zunehmend die Ausprägung von sozialistischen Handlungs- und Denkweisen zum Ziel (Schäfer 1990c: 328). Die Steuerung der beruflichen Bildung erfolgte nicht im Rahmen einer institutionellen Struktur der Selbstverwaltung, sondern auf hierarchische Weise durch staatliche Institutionen (das Staatssekretariat für Berufsbildung und das Zentralinstitut für Berufsbildung der DDR; Autsch 1995: 22; Schäfer 1990d: 292-293). Die offizielle Rhetorik der Bundesregierung sah anfangs von einem einfachen Transfer des westdeutschen Systems auf die neuen Länder ab und sprach lieber von einer Zusammenführung zweier Systeme: »Der Beitritt der neuen Ländern sollte jedenfalls nicht dazu führen, die dort gewonnenen spezifischen Erfahrungen generell für obsolet zu erklären« (Bundesregierung 1991b: 1).56 Es wurde jedoch bald deutlich, dass man an einer Übertragung des dualen Systems ohne Abstriche interessiert war, auch, weil sich die Etablierung eines alternativen Ausbildungssystems im Osten auf die Machtbalance im Gesamtsystem ausgewirkt hätte (Johnson 1995: 155). Die Bildungspolitik im Allgemeinen hatte in der Phase unmittelbar nach der Wende eine große Bedeutung. Bereits im Mai 1990 konstituierte sich die Gemeinsame Bildungskommission von BRD und DDR, die die Zusammenführung der beiden Systeme vorbereiten sollte. Die »gegenseitige Orientierung der Bildungspolitik beider Staaten und eine schrittweise Zusammenführung der beiden Bildungs- und Wirtschaftssysteme« (BMBW 1995[1990]b: 208) wurden in der konstituierenden Sitzung zum gemeinsamen Ziel erklärt (siehe auch den Vorschlag zur Einrichtung einer Gemeinsamen Bildungskommission, BMBW 1995[1990]c: 207). Die westdeutschen Vertreter wollten den Reformprozess in der DDR unterstützen, aber auch das westdeutsche Bildungssystem in der DDR etablieren (vor allem in den Bereichen berufliche Bildung und Hochschulbildung; Fuchs/Reuter 1995a: 201). In der dritten und abschließenden Sitzung der Gemeinsamen Bildungskommission circa vier Monate später wurde bereits die Übernahme des »Hamburger Abkommens«, ein wichtiger Grundpfeiler des westdeutschen Bildungsföderalismus, in den Einigungsvertrag beschlossen (BMBW 1995[1990]a: 221). In der beruflichen Bildung wurde die »schnellstmögliche Einführung des Ordnungsrahmens der Bundesrepublik für Berufsbildung (Berufsbildungsgesetz, Handwerksordnung, Berufsschulgesetz, Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrpläne)« in den neuen Bundesländern angestrebt (BMBW 1995[1990]a: 222). Der beruflichen Bildung wurde nochmals eine besondere Bedeutung zuerkannt (Fuchs/Reuter 1995b: 23; siehe auch die Betonung der beruflichen Bildung im »Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost«, Bundesregierung 1991a: 24-26). Man traute dem dualen System zu, die befürchteten Probleme der Jugendarbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern ebenso wie in den alten zu lösen und eine Abwanderung von Arbeitskräften in den Westen zu verhindern (BMBW 1995[1990]b: 208). Bereits im August 1990 beschloss die demokratisch gewählte DDRVolkskammer die Übernahme des BBiG in den Geltungsbereich der DDR, sodass der Jahrgang 1990 zum größten Teil nach dem westdeutschen dualen System ausgebildet werden konnte (Johnson 1995: 127). Die institutionelle Infrastruktur und die entsprechenden intermediären Organisationen (Kammern, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, aber auch Länderadministrationen), die im Rahmen des westdeutschen Modells eine wichtige Rolle spielen, mussten allerdings noch aufgebaut werden. Nach der Wiedervereinigung stand man vor verschiedenen Herausforderungen: 1. Durch die Umstellung einer planwirtschaftlichen auf eine marktwirtschaftliche Ordnung waren ökonomische Verwerfungen zu erwarten, die sich auch auf Beschäftigung und Ausbildung auswirken sollten (Betriebsinsolvenzen, ökonomische Unsicherheit und daraus resultierende Zurückhaltung der Unternehmen bei Einstellungen). 2. Die Trägerschaft der Berufsschulen musste von Betrieben auf Kommunen und Kreise übertragen werden. 3. Die Kammern mussten erst als neue Institutionen errichtet werden und anschließend sofort ihre Funktionen und Aufgaben im Rahmen des dualen Systems übernehmen. 4. Die Anbindung der beruflichen Bildung an die allgemeine Bildung musste geregelt werden (Schulgesetze der neu geschaffenen Länder). 5. Die strukturelle Schwäche des Handwerks musste behoben werden, damit dieser wirtschaftliche Sektor wie im westdeutschen Modell seine besondere Rolle in der Berufsbildung übernehmen konnte.

Inhalt

Vorwort ........... 9 Kapitel 1 Einleitung .............. 11 Kapitel 2 Das deutsche Berufsbildungssystem im Wandel ........ 17 2.1 Zugang zu beruflicher Erstausbildung ....... 17 2.1.1 Entwicklung von Angebot und Nachfrage nach Ausbildung ........ 17 2.1.2 Wandel von Bildungs- und Beschäftigungskarrieren .................... 18 2.1.3 Sinkendes Ausbildungsangebot und Warteschleifen seit Anfang der Neunzigerjahre ....... 28 2.2 Ausbildungsbeteiligung und Übernahmequoten ........... 41 2.3 Die Finanzierung der beruflichen Erstausbildung ......... 47 2.3.1 Datenlage und Überblick ....... 48 2.3.2 Entwicklungstrends seit den Siebzigerjahren ..... 53 2.4 Berufsbildung im Wandel: Die wichtigsten Erklärungsansätze ....... 62 2.4.1 Struktureller Wandel der Wirtschaft ....... 62 2.4.2 Ansteigende Kosten der Ausbildung .......... 71 2.4.3 Teilarbeitsmärkte und Rekrutierungsstrategien von Unternehmen ........ 74 2.4.4 Zwischenfazit ............. 76 Kapitel 3 Die Politik der beruflichen Bildung ........... 78 3.1 Die Siebzigerjahre: Hohe Reformansprüche und ihr Scheitern ............. 79 3.1.1 Reformeuphorie ........... 79 3.1.2 Ernüchterung ............ 88 3.1.3 Die Entdeckung der Neuordnungspolitik ...... 96 3.1.4 Grundsteinlegung für das Übergangssystem ...... 101 3.2 Die Achtzigerjahre: Korporatistische Selbstverwaltung und regierungspolitische Zurückhaltung ..... 106 3.2.1 Allgemeine Berufsbildungsreform ....... 106 3.2.2 Einzelaspekte ........ 117 3.2.3 Die Politik der Zahlen ........ 121 3.2.4 Neuordnungspolitik ....... 124 3.3 Die Neunzigerjahre: Institutionalisierung der dualen Berufsausbildung in den neuen Bundesländern ....... 127 3.3.1 Berufsausbildung in den neuen Bundesländern .... 127 3.3.2 ''Reformprojekt berufliche Bildung'' ........ 139 3.3.3 Neuordnungspolitik ........... 145 3.4 Neuere Entwicklungen: Europäisierung, Modularisierung und Segmentierung ....... 147 3.4.1 Bündnispolitik und Sofortprogramme ..... 148 3.4.2 Ausbildung als Gegenstand der Tarifpolitik ...... 150 3.4.3 Wiederbelebung der Finanzierungsdebatte ....... 151 3.4.4 Berufsbildungsreform ...... 157 3.4.5 Liberalisierung und Deregulierung der Rahmenbedingungen ........... 165 3.4.6 Modularisierung durch Europäisierung? ...... 166 3.4.7 Berufsbildungspolitik der Großen Koalition ..... 169 Kapitel 4 Der Wandel der Arbeitsbeziehungen und die Berufsbildungspolitik .......... 176 4.1 Arbeitsbeziehungen im Wandel ........ 176 4.2 Die Politik der beruflichen Bildung im Wandel .... 181 4.2.1 Betriebliche Ebene ...... 181 4.2.2 Tarifpolitik ......... 184 4.2.3 Neuordnungspolitik ..... 187 4.2.4 Allgemeine Berufsbildungsreform ........ 197 4.3 Zusammenfassung und Ausblick ...... 202 Anhang: Zusätzliche Daten und Statistiken ...... 208 Abbildungen und Tabellen ....... 221 Abkürzungen ....... 224 Literatur ........ 226

Weitere Artikel aus der Reihe "Schriften des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Köln"

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

39,00 €
inkl. MwSt.

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

46,00 €
inkl. MwSt.

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

44,00 €
inkl. MwSt.

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

46,00 €
inkl. MwSt.

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

35,00 €
inkl. MwSt.
Alle Artikel anzeigen

Weitere Artikel aus der Kategorie "Politikwissenschaft/Sonstiges"

Lieferbar innerhalb 1-2 Werktagen

20,00 €
inkl. MwSt.

Lieferbar innerhalb 1-2 Werktagen

16,90 €
inkl. MwSt.

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

10,00 €
inkl. MwSt.

Lieferbar innerhalb 1-2 Werktagen

24,00 €
inkl. MwSt.
Alle Artikel anzeigen